Bekannt und bewährt

Von RA Harald Wilbertz

Ausgangspunkt für die rechtliche Betrachtung einer Platzanfrage bei festgesetzten Veranstaltungen ist § 70 Abs. 1 und 3 der Gewerbeordnung (GewO). Hiernach ist jedermann, der dem Teilnehmerkreis der festgesetzten Veranstaltung angehört, nach Maßgabe der für alle Teilnehmer geltenden Bestimmungen zur Teilnahme berechtigt. Dieser Anspruch wird allerdings durch § 70 Abs. 3 GewO eingeschränkt, wonach der Veranstalter aus sachlich gerechtfertigten Gründen, insbesondere wenn der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, einzelne Aussteller von der Teilnahme ausschließen kann. Für den Fall, dass mehr Bewerbungen eingehen als Berücksichtigung finden können, muss der Veranstalter eine Auswahl treffen. Die Rechtsprechung spricht von einer “optimalen Mängelverwaltung“.

Wie aber ist diese Auswahl vorzunehmen? Die GewO schweigt hierzu und lässt sowohl Veranstalter wie auch Beschicker mit dem Problem alleine. Nun hat sich im Laufe der Zeit eine Flut von – teilweise widersprüchlichen – Entscheidungen der Instanz- und Obergerichte angesammelt. Größtenteils sind die Entscheidungen davon geleitet, eine nach Auffassung des Gerichtes im Einzelfall passende Entscheidung herbeizuführen, ohne jedoch eine Linie für zukünftige Verfahren aufzeigen zu wollen. Als kleinster gemeinsamer Nenner der neueren Rechtsprechung (ausgehend von OVG Bad.-Württ., Urt. v. 30.4.1991) lassen sich zwei Punkte herausarbeiten: 1. bekannt und bewährt sowie Attraktivität sind sachgerechte Auswahlkriterien, auf die eine Auswahlentscheidung gestützt werden kann, 2. Neubewerbern muss in einem absehbaren zeitlichen Rahmen eine Zulassungschance eröffnet sein. Eine verbindlichere, allgemeingültige Aussage über das Auswahlverfahren lässt sich weder der gesammelten Rechtsprechung entnehmen und auch die Kommentierung, allen voran die von Schönleiter in Landmann/Rohmer ist nicht ergiebiger. Im Gegenteil zeigt letztere eine Vielzahl von alternativen Auswahlkriterien und -verfahren mit jeweils vielen “Wenns und Abers“ auf, die das Auswahlverfahren vollends zum Glücksspiel werden lassen (Prioritätssystem, Losverfahren, rollierendes System u.v.m.). Der rote Faden fehlt bis heute.

Richtig ist, dass es für Beschicker wie auch für Veranstalter eine gewisse Planungssicherheit geben muss. Sachgerecht und im Interesse der Qualitätssicherung einer Veranstaltung – ausweislich der Marketingstudie ein vorrangiges Ziel – wird man zuvorderst auf die Attraktivität eines Geschäftes abstellen müssen. Attraktivität ist hierbei als weiter Begriff zu verstehen und ein Geschäft ist nicht alleine deshalb attraktiver, weil es drei Meter höher ist oder fünf Brennstellen mehr hat. Vielmehr stellt die Attraktivität ein erstes Raster dar, mit der bei den Bewerbungen die Spreu vom Weizen getrennt wird. Attraktivität stellt naturgemäß eine subjektive Bewertung dar, die letztlich auch gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist. Daher sollte eine Bewertung nie von einer Person alleine, sondern stets unabhängig voneinander von mehreren vorgenommen werden, um so ein halbwegs repräsentatives Bild zu erhalten. Gleichzeitig kann, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, eine Auswahlentscheidung nicht alleine auf das Kriterium Attraktivität gestützt werden. Im Gegenteil muss die Attraktivität des Geschäftes, die ja für die Zulassung zu betrachten ist, nicht gleichzusetzen sein mit der Attraktivität für die Veranstaltung. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein größerer Skooter mag attraktiver für das Publikum sein, da auf Grund seines höheren Platzbedarfs aber weniger andere Geschäfte zugelassen werden könnten, kann ein kleinerer Skooter für eine Veranstaltung im Interesse eines möglichst breit gefächerten und bunten Angebotsmixes attraktiver sein.

Im nächsten Schritt ist innerhalb der so getroffenen Vorauswahl eine Entscheidung zu treffen, wer Stand bekommt und wer nicht. Viele Veranstalter sehen hierbei nur kurzfristig die jeweils anstehende Veranstaltung, ohne sich bewusst zu machen, dass häufig auch eine Entscheidung über den Fortbestand von Firmen und Existenzen und letztlich auch über die Qualität der Anfragen für zukünftige Veranstaltungen getroffen wird. Bewerber, die lange Jahre eine Veranstaltung beschickt und evtl. sogar mit aufgebaut haben, brauchen Planungssicherheit, um in ihre Geschäfte, in die Zukunft der Veranstaltung investieren zu können. Verneint man dies, würde kein seriöser Gewerbetreibender – unabhängig von Basel II – zukünftig in sein Geschäft investieren können und kein Veranstalter könnte auf eine qualitätssichernde Kontinuität bei den Beschickern seiner Veranstaltung bauen. Geschäfte, Firmen und Existenzen würden zu Eintagsfliegen, die gerade in Zeiten stetig schlechterer Kassen und steigender Kosten ohne halbwegs verlässliche Stammplätze immer schneller ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen könnten. Geschäfte müssten schon nach kurzer Zeit weiterveräußert werden an neue Betreiber, die ihr Glück beim Bewerbungsroulett versuchen wollen, ohne zugleich die persönliche und fachliche Gewähr eines bekannten und bewährten Beschickers mitbringen zu können. Betriebszyklen würden immer kürzer und die Fluktuation auf den jeweiligen Veranstaltungen immer höher. Das steigende Überangebot von Geschäften durch parallel reisende nachrückende Generationen und der Trend, mit einer Vielzahl von Geschäften gleichzeitig zu reisen, tut ein Übriges. Zugegeben, mit einem Geschäft kann man heute nicht einmal mehr die laufenden Kosten erwirtschaften, aber betriebswirtschaftlich ist die Sättigungsgrenze längst erreicht und weitere Geschäfte führen nur dazu, dass das Stück vom Kuchen für jeden Einzelnen nur noch kleiner und unrentabler wird – der Beginn eines Teufelskreises.

Marktfreiheit ja, aber nicht um den Preis des Marktes. Wie aber ist der Ausgleich zu finden zwischen den Interessen des Veranstalters, einerseits Stabilität und Kontinuität in seine Veranstaltung zu bringen, zugleich aber sein Gestaltungsermessen für eine Veränderung und Weiterentwicklung der Veranstaltung in der Zukunft nicht vollends aus der Hand zu geben, zwischen dem Interesse von Stammbeschickern auf Planungssicherheit und dem Interesse von Neubewerbern, nicht für alle Zeiten von einer Veranstaltung ausgeschlossen zu sein? Ausgangspunkt der Betrachtung kann hier nur die Veranstaltung sein. Eine gelungene Veranstaltung liegt im Interesse von Veranstalter wie auch Beschickern. Nur eine gelungene Veranstaltung wird vom Publikum angenommen werden und wird für wenigstens halbwegs gefüllte Kassen sorgen. Veranstalter und Beschicker müssen sich endlich nicht mehr als Gegenspieler oder schlimmer noch, als Zulassungen gewährende Obrigkeit und bittstelliger Untertan verstehen, sondern müssen einsehen, dass zu vorderst das gemeinsame Interesse an einer gelungenen Veranstaltung steht und sich auf gleicher Augenhöhe begegnen. Auch in Zeiten eines regen Überangebotes an Geschäften sind Veranstalter auf zuverlässige Beschicker und Beschicker auf verantwortungsbewusste Veranstalter angewiesen. Ein Veranstalter, der kurzfristig seine Veranstaltung mit allem voll baut, was er unterbekommt, hierbei langjährige Stammbeschicker für den kurzen Effekt einer Neuheit oder weil er die Auseinandersetzung, schlimmer noch, häufig sogar nur eine hinreichende Begründung scheut, außen vor lässt, wird dies nicht lange durchhalten. Ein ständiger Wechsel der Beschicker ist vom Publikum nicht gewollt. Es erwartet einen gelungenen Mix, die Gratwanderung aus Vertrautem und Neuen, aus dem, was einen Wohlfühl- und Wiedererkennungseffekt ausmacht und dem, was einen Anreiz bietet, jedesmal aufs Neue erstaunt und begeistert zu sein.

Ein gesundes Augenmaß und ein Veranstalter, der sich mit der Veranstaltung und den Problemen der Beschicker identifiziert, sind hier die Grundvoraussetzung. In dem Moment, wo der Veranstalter darauf aus ist, aus der Veranstaltung finanziellen Gewinn zu ziehen, gerät er in einen unüberbrückbaren Interessenskonflikt zwischen gelungener Veranstaltung und zu erzielendem Profit. Dieses Dilemma sahen bereits die Väter der GewO. Nicht umsonst schrieben sie in § 71 GewO fest, dass aus einer festgesetzten Veranstaltung kein Gewinn erzielt werden darf. Nur so kann man sich voll und ganz auf die Interessen der Veranstaltung konzentrieren. Eine gelungene Veranstaltung bringt dem Veranstalter mehr als finanziellen Profit – die positiven Auswirkungen von Volksfesten, Jahr- und Weihnachtsmärkten sind hinlänglich bekannt, etwa in der Studie “Wirtschaftsfaktor Volksfest“ aus dem Jahre 2001. Hierauf gilt es sich zurückzubesinnen. Veranstalter – gleich ob kommunal oder Schaustellerverband – sind gut beraten, sich auf diese Werte zurückzubesinnen und sich als Dienstleister an den Besuchern und den Einwohnern der Gemeinde zu verstehen. Volksfeste sind Wirtschaftsfaktor, aber kein Wirtschaftsgut.

Eine Zwischenbemerkung, die verdeutlicht, wie schnell “gut gemeintes“ ins Gegenteil umschlagen kann: Dass dem Auswahlkriterium “bekannt und bewährt“ besondere Bedeutung zukommt, wurde bereits oben erläutert. Es kann jedoch nicht angehen, dass – wie in einer unlängst ergangenen, zum Glück nicht rechtskräftigen Entscheidung erfolgt – ein Gericht eine Verwaltungspraxis unbeanstandet lässt, nach der es einem Veranstalter unter dem Deckmantel, Stammbeschicker fördern zu wollen, freigestellt wird, gerade diese Stammbeschicker von sich abhängig zu machen und auszunutzen. Von einer Begegnung auf gleicher Augenhöhe kann hier nicht mehr die Rede sein. Was war passiert? Ein kommunaler Veranstalter führt fünf festgesetzte, thematisch unterschiedliche Veranstaltungen im Jahr an unterschiedlichen Plätzen und mit unterschiedlichen Publikumskreisen durch. Eine hiervon muss neidlos als besonders starke Veranstaltung gewertet werden, die Übrigen sind eher Mittelmaß oder darunter, jedenfalls fällt es schwer, hierfür hinreichend attraktive Bewerbungen zu erhalten. Also ersann man ein Vergabesystem, nach dem nur derjenige bei einer Bewerbung um die gute Veranstaltung “bekannt und bewährt“ sei, der bereit ist, auch das Zuschussgeschäft in Kauf zu nehmen und die übrigen Veranstaltungen zu beschicken. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Handlung tut not. Es ist an der Zeit, für Beschicker verlässliche und transparente Vergabeverfahren einzuführen, die eine gewisse Planungssicherheit geben. Abschriften sind auch heute als Ermessensentscheidung zu begründen – aber wieweit ist es her, wenn selbst Schaustellerverbände als Veranstalter sich weigern, auf ausdrückliche Nachfrage eine Begründung zu geben? Die lange diskutierte Neufassung der GewO lässt noch immer auf sich warten und der große Wurf für eine attraktivere Umgestaltung der Festsetzung ist bislang nicht in Sicht. Ich wage an dieser Stelle eine Prognose: Vergabekriterien oder gar eine gesetzgeberische Festschreibung eines Zulassungsanspruchs für bekannte und bewährte Stammbeschicker wird es in der GewO nicht geben. Die GewO ist in Titel IV getragen vom Prinzip der Marktfreiheit. Regelungen zur Berufsausübung, wie sie das Ausschließungsermessen bei Platzmangel darstellt, werden immer auf ein Minimum zu beschränken sein, hier steht schon unsere Verfassung vor. Eine Tendenz, an den Grundfesten der freien Marktwirtschaft zu rütteln, ist zum Glück nicht erkennbar. Nicht umsonst heißt es in § 70 GewO: “Jedermann“ ist zur Teilnahme berechtigt – und jedermann meint hier auch jeden, egal ob In- oder Ausländer, ortsansässiger Schausteller oder bundesweit reisendes Großunternehmen, Verbandsmitglied oder nicht. Eine Differenzierung nach diesen Kriterien bei der Auswahlentscheidung ist – in ständiger Rechtsprechung bestätigt – nicht sachgerecht und daher unzulässig. Jeder der jetzt aufschreit und dies ändern möchte, mag für sich selbst erst einmal nachrechnen, auf wie vielen auswärtigen Veranstaltungen und bei wie vielen Veranstaltern er im Jahr steht, wo er nicht Mitglied ist. Eine weitere Möglichkeit der Festschreibung des Vergabeverfahrens in den Musterverwaltungsvorschriften zum Vollzug von Titel IV GewO wäre zwar denkbar und hilfreich, müsste aber schwammig und wenig konkret bleiben, da diese Vorschriften abstrakt für jede Art von Veranstaltung bundesweit Anwendung finden können müssten. Hier gilt es, so konkret wie möglich, aber so offen wie nötig zu formulieren. Bis dahin bleibt letztlich nur die vordringlichste Aufgabe der Verbände, auf allen Ebenen weiter das Bewusstsein der Veranstalter für die Veranstaltung und für die Beschicker zu wecken. Angefangen von den Spitzengremien auf Bundesebene wie etwa dem Deutschen Städtetag bis runter zum einzelnen Marktamt gilt es hier durch Überzeugungsarbeit Einfluss auf die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens – nicht auf die Auswahlentscheidungen im Einzelfall – zu nehmen. Ein Ansatz wäre etwa die Zurverfügungstellung einer gemeinsam erarbeiteten Sammlung von Mustersatzungen, Zulassungskriterien und Textbausteinen, aus denen die jeweiligen Veranstalter ihr eigenes Verfahren nach ihren Bedürfnissen zurechtschneidern können. In diese können die gesammelte Fachkompetenz der Schaustellerverbände wie auch der Marktmeister eingebracht und umgesetzt werden. Es gibt viel zu tun, zumal der oben beschriebene Teufelskreis sich nicht von heute auf morgen durchbrechen lässt und die geforderten Maßnahmen – sollen sie nachhaltig wirken – sich auch nicht von heute auf morgen umsetzen lassen. Die Auswahlverfahren für die kommende Saison laufen bereits in vollen Zügen. Ich wünsche allen, dass die Veranstalter mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl vorgehen. Und wo ein Veranstalter sich nicht sicher ist, ist es keine Schande, sich fachkundige Hilfe – sei es bei benachbarten Gemeinden oder bei einem Schaustellerverband – einzuholen.