Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein

Jahrmarktsbummel zwischen Karussells und Marktständen immer wieder lohnend

Jahrmarkt – ein unversiegbarer Quell des Ergötzens

Jahrmarktsbummel – ist das nicht wie ein Zauberwort, das uns, die wir eine erkleckliche Zahl von Jahresringen angesetzt haben, einen Himmel erschließt, der sich über glücklichen Kindheitstagen wölbte? Begreift das Wort nicht eine Fülle von Erinnerungen an viele genüssliche Stunden der Ergötzung und des Vergnügens in sich? Ist es nicht gar so etwas wie Sehnsucht, die, wenn wir das Wort hören, in uns aufsteigt? Gestehen wir es uns doch ruhig ein: ob Jung oder Alt, ob Arm oder Reich – immer wieder ist so ein Bummel zwischen Karussells und Schaubuden lohnend gewesen und wird es auch, seien die Zeiten auch noch so schwer, in alle Zukunft bleiben, denn er unterhält uns auf mancherlei Weise. Egal wie man es nennt: Jahrmarkt, Messe, Dult, Volksfest, Schützenfest oder Kirmes – immer bedeutet es einen unversiegbaren Quell des Ergötzens.

Jahrmarkt – das ist zugleich eine Sinfonie für Auge, Nase, Ohr und Mund; das setzt sich gleichermaßen zusammen aus Geräuschen, Gerüchten und Geschmäckern – oder solltet ihr etwa nicht mehr jene gar nicht genau zu bestimmende Duftwolke in der Nase spüren, die sich bildet aus dem leckeren Rauch der Würstchen oder der Hühner am Spieß, aus dem appetitlichen Dampf brutzelndes Fettes, in dem die Spritzkuchen, „Kräppelchen“, Pfannkuchen oder Storchnester für euch Leckermäuler schmoren, oder aus dem etwas aufdringlicheren Daseinsbeweis knuspriger Steckerlfische? Dazu kommen die Gerüche des technischen Zeitalters: die der Maschinen und der Autos, die sich trefflich zwischen das andere Aroma mischen und so an der jahrmarktseigenen Duft-Mixtur mithelfen.

Und freut man sich nicht über den Generalangriff der Konzertorgeln, Leierkästen, Lautsprecher, Musikkapellen und Ausrufer auf unser Trommelfell? Schlagermelodien und Volkslieder, Opernarien und vergessene Weisen, Glockenläuten und Paukenschläge – sie locken und rufen zu seltsamer Augenweise, zu lustiger Fahrt, zu frohem Genuss – sie verbinden alle Menschen zu einer einzigen lebensfrohen Gemeinde, in der Spießer kein Daseinsrecht haben.

Am Abend ist alles in den Schein von über tausend Lämpchen, in glühende Fronten getaucht, und unser Auge ist geblendet von all dem Glanz, der über Stätte der behaglichen Freude, des harmlosen Genusses liegt – ach, ihr seid nie zu alt, nie zu arm, nie zu nervös, um mit den anderen nicht das Ergötzen dieser Stunden zu teilen! Denen, die sie euch bereiten, geht es nicht immer so gut wie euch, aber die Leute vom „ambulanten Gewerbe“, die Schausteller und „Marktfahrer“ sind immer darauf bedacht, euch Neues und Abwechslungsreiches zu bringen – genau so, wie sie es draußen vor ihrem Unternehmen, ihren „Geschäften“, wie sie sagen, erzählen. Was wollt denn ihr auf dem Jahrmarkt, die ihr die Nasen rümpft über „Marsmenschen“ oder „Damen ohne Unterleib“, über Riesenschlangen oder Meerjungfrauen – nein, bleibt ihr nur zu Hause! Wir nehmen nur die mit auf unseren Bummel, die guten Willens sind, die einen Sinn haben für jene seltsame Mischung von Romantik und Wirklichkeit, die uns hier umfängt! Nur die, die sich ein unbefangenes Gemüt von der Kinderzeit her bewahrt haben, sollen uns begleiten! „Introite, nam et hic dei sunt ...“ „Treten Sie ein, meine Herrschaften“, denn auch hier schütten die Götter ein Füllhorn aus über euch Menschlein. Wenn irgendwo, so gilt hier des über allen Zeiten und Geschehen stehenden großen Weimaraners Wort: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!“

Die Gruppe der Wohnwagen weist dem Auge den Weg, den uns Geräusch und Duft längst verraten haben. Da stehen sie, die bunten Wägelchen oder modernen Wagen, in denen die Schausteller leben, in denen die Riesendamen schlafen oder die vierbeinigen Künstler des Hundetheaters ihre bescheidenen Knochen nagen. Sauber sind diese Unterkünfte zumeist, und Fleiß und Zähigkeit wohnen in ihnen. So ein grüner, weißer oder brauner Wohnwagen, eine „Maringotte kommt, und wenn man vermutet, dass er sich in der engen Kajüte des Seemanns, des marin, herleitet, so kann das stimmen. Aber keiner der älteren Fachschriftsteller vermag das Wort wirklich zu erklären. Einen der teuersten und modernsten Wohnwagen, der wohl jemals durch die Straßen zog, bewohnte noch im ersten Drittel unseres Jahrhunderts der Zigeunerbaron Nakette, der, zumeist bei München haltend, an den Wänden seines Wagens mit Kraftbetrieb sogar wertvolle Originalgemälde hängen hatte.

Das waren noch Zeiten, als die kleine Maringotte mit dem dürren Pferdchen davor über die Landstraße holperte, als es noch keine Traktoren, wohl aber schon Pannen gab! Die kamen natürlich vor, zumal wenn man nicht darauf geachtet hatte, die Wagenräder richtig zu teeren. Nach altem Aberglauben der Fahrenden musste damit immer von rechts angefangen werden, damit die Pferde unterwegs nicht ermüdeten. Die Räder dagegen musste man nach links drehen, um zu verhüten, dass der Teufel Macht über das Gefährt gewann. Es war auch empfehlenswert, beim Abfahren die Peitsche dreimal kreuzweise knallen zu lassen oder am besten gleich ein Kreuz in den Weg zu zeichnen. Ein alter erfahrener Mann vom Fach erzählte, dass es auch gut sei, die Reise mit brennendem Feuer anzutreten – so hätte es sein Großvater auch immer gehalten, und wenn er die brennende Pfeife im Mund gehabt hätte! (tw/red.) (aus Komet 5204/10.3.)