Rückblick: Wie die Kirmes laufen lernte

Die Geschichte des Schaustellerstandes ist lang – und leidvoll. Schon immer war es offensichtlich nicht leicht, Frohsinn und Kurzweil den Mitmenschen zu verkaufen.

Possenreißer, Gaukler und Taschenspieler waren im Bürgeralltag unserer Altvorderen sicherlich eine angenehme Unterbrechung: Quacksalber und Wundärzte sorgten auf den Jahrmärkten bisweilen sogar für „erschröckliche Situationen“ – dennoch war das „fahrende Volk“ dem Bürgerstand nie so recht geheuer. Schausteller, die heute hier und morgen dort ihre Heimat hatten, wollten nicht so recht in den kleinbürgerlichen Horizont passen. Lange Jahre wurden dem „fahrenden Volk“ selbst die primitivsten Rechte verwehrt. Aus dem 17. Jahrhundert wird von Fällen berichtet, dass verschreckte Bürgersleut' nach Darbietungen mit „künstlichen“ (abgerichteten) Pferden, Ross und Reiter kurzerhand wegen Zauberei verbrannten. Zum „fahrenden Volk“ zählten seinerzeit auch jene Wundärzte, die im 17. und 18. Jahrhundert ihre Künste „zum Wohle der leidenden Menschheit“ auf den Märkten anpriesen. Einer der bekanntesten Vertreter seiner Zunft war der Landarzt Andreas Eisenbart – übrigens wie viele andere Operateure jener Tage zu Unrecht als Scharlatan diffamiert.

Art30171x41Den großen Aufschwung nahm das Schaustellergewerbe erst Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit entstanden die bekanntesten Volksfeste wie das Münchner Oktoberfest und das Cannstatter Volksfest. Berühmte Schausteller- und Zirkusdynastien wie Schichtl, Renz, Knie, Krone, Barnum & Barley, Althoff, Caree und Hagenbeck hatten in dieser Zeit ihren Ursprung.

Doch schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts erregt erstmalig ein Karussell auf den Jahrmärkten Aufsehen. Starke Männer schoben zur Belustigung des Volkes eine Rundbahn mit Holzpferdchen und Fahrersitz im Kreise. Die menschliche Muskelkraft übernahmen später Pferde und Maulesel. 1840 „dampfte“ auf dem Bremer Freimarkt das erste Dampfkarussell von Heinrich Wentzel. Zeitgenössische Chronisten argwöhnten seinerzeit noch, das Wentzel-Karussell werde nicht „durch Dampfkraft, sondern durch die Tätigkeit einiger unterirdischer Subjecte in Umschwung“ gebracht. „Karussellkönig“ Hugo Haase brachte 1893 als große Sensation die erste elektrische Berg-und-Tal-Bahn. Einige Jahre später überraschte er sein Publikum erneut mit dem „wandelnden Trottoir“, einem Mordsspaß für Großvater, als er noch ein junger Mann war.

Art30271x14Fast zur gleichen Zeit lernten auf den Rummelplätzen auch die Bilder aus den Kinematographen das Laufen. Haase – nie um eine Sensation verlegen – sorgte 1910 schließlich für die „Supersensation“. Er präsentierte die erste Achterbahn; sicherlich ein noch recht harmloses Vergnügen im Vergleich zu den heute gebräuchlichsten Modifikationen „schnellen Acht“ jener Tage. 1925 kam die „Raupe“ ins Volksfestgeschehen – ein Evergreen für turtelnde Pärchen. Auch der immer junge Skooter, selbst im Zeichen der fast erreichten Vollmotorisierungen noch immer beliebt, wurde ebenfalls in den zwanziger Jahren erfunden. Das Riesenrad drehte sich dagegen bereits zum ersten Mal – damals noch als „Russische Schaukel“ – schon 50 Jahre zuvor, um 1870. Auch in der Nachkriegszeit nach dem furchtbaren Zweiten Weltkrieg hatte der Deutsche seine Anhänglichkeit an die Kirmes nicht verloren. Nun fuhr man amerikanisch im „Hurrikan“ und „Fly-o-Plane“. Aber auch der amerikanische Trend ist wieder überholt. Heute exportieren die westdeutschen Karussellbauer in nahezu alle Welt. (tw/red./Fotos: Archiv KOMET)