Stichtag: 17. Mai 1620

In Philippopel steht das erste Karussell

Wir befinden uns im Osmanischen Reich, zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die Beschwerden der Sittenwächter waren bis zum Sultan nach Istanbul gedrungen: Die Thraker, also die Bewohner des heutigen Bulgariens, hätten mal wieder zu wild gefeiert. Nicht nur hätten sie einen Jahrmarkt abgehalten und ihn mit einer Prozession verbunden. Nein, bei dem anschließenden Fest sei es auch noch ungesittet hergegangen.

Wir können heute nicht nachvollziehen, worin die Unsittlichkeit bestanden hat, denn auch die wildesten Feste im Osmanischen Reich waren gegenüber dem, was zur gleichen Zeit im westlicheren Europa möglich war, recht harmlos. Vermutlich war es anstößig, dass Christen und Muslime gemeinsam ein Fest feierten. Und gegen die Ordnung war es vermutlich auch, dass Weibervolk an den Festlichkeiten teilgenommen hat. Es kam, wie es kommen musste: Der Sultan verbot den Christen, ihre Gottesdienste außerhalb der Kirche abzuhalten, und drohte den Muslimen, falls sie sich nochmals an solcherlei Aktivitäten beteiligten. Und im selben Zusammenhang wurde zum Schutz der öffentlichen Moral auch gleich mal wieder das bei Märkten und Festlichkeiten aller Art so überaus beliebte Schaukeln verboten – ein erster Hinweis auf schon damals verbreitete Anlagen und Maschinen zur Volksbelustigung.

In dieser Atmosphäre zwischen Feierlust und Repression durch die Wächter über die öffentliche Moral muss es eine kleine Sensation gewesen sein, als in der osmanischen Handelsstadt Philippopel, dem heutigen Plowdiw in Bulgarien, genau eine solche Maschine in Betrieb ging: Dort soll am 17. Mai 1620, also vor 384 Jahren, das erste Karussell aufgestellt worden sein. Leider geben die Quellen nichts her über Art und Aussehen des Karussells. Die grundsätzliche Konstruktion dürfte aus einer waagerechten Scheibe mit Sitzpolstern bestanden haben, die auf einem Gestell drehbar gelagert war und durch eine Handkurbel gedreht wurde. Die auf der Scheibe sitzenden Personen – und das waren damals beileibe keine kleinen Kinder, sondern erwachsene Leute – versuchten, beim Fahren mit einem Spieß kleine, außerhalb der Scheibe aufgehängte Ringe zu stechen. Nach diesem Ringstechen, einem ursprünglich ritterlichen Vergnügen, hat sich für derlei Anlagen der Name Karussell durchgesetzt. (Quelle: (c) SWR 2004)