Geliebtes immaterielles Kulturerbe
Stark besuchter Eisenacher Sommergewinn
Hinweisschilder, dass Teile der Innenstadt gesperrt sind. Polizeibeamte, die den Straßenverkehr regeln. Wohnsiedlungen, in denen verzweifelt nach Parkplätzen gesucht wird, Menschenmassen, die versuchen, den bestmöglichen Blick auf das Szenario zu erhaschen. So gestaltete sich das Bild am 18. März, als der Festumzug zum Eisenacher Sommergewinn in den Startlöchern stand.
Als eines der größten Frühlingsvolksfeste des Landes hat der Eisenacher Sommergewinn seit gefühlt ewigen Zeiten seinen Kultstatus inne. Allein schon der Ausruf „Gut Ei und Kikeriki“ ist so kurios wie einzigartig. Diese Worte stehen nicht nur auf Festwägen, Bannern und sonstigen Dekorationen, sondern man vernimmt sie auch regelmäßig, wenn man sich zuprostet oder im Vorbeigehen begrüßt. Für einen Außenstehenden schwer nachvollziehbar, aber äußerst sympathisch!
Seit dem 9. Dezember 2016 zählt der Eisenacher Sommergewinn zum immateriellen Kulturerbe, worum man sich im Vorfeld sehr bemüht hatte und man darüber überaus stolz in der Lutherstadt ist. Dies wurde auch beim diesjährigen Festumzug deutlich. Monatelang hatten sich mehr als 1.200 Mitwirkende auf dieses Event vorbereitet. Über 40 Laufgruppen, zehn Kapellen und Spielmannszüge, Festwagen, Kutschen, Pferde und und und – alles für diesen Samstagnachmittag drei Wochen vor Ostern. Zigtausende säumten die Straßen Eisenachs von der Adam-Opel-Straße bis zum Marktplatz. Teilweise drückte sich das Publikum in Sechser- und Siebenerreihen aneinander. Ab 14 Uhr bekamen die Menschen dann etwas zu sehen. Die Teilnehmer des Umzugs hatten sich dermaßen viel Mühe gemacht, dass es ein Augenschmaus höchsten Niveaus war, die Wagen und Gruppen zu betrachten. Die drei unverzichtbaren Symbole Brezel, Huhn und Ei tauchten immer wieder in verschiedenster Form auf. Historisch gekleidete Germanen rollten ein (noch nicht entzündetes) Feuerrad einmal quer durch die Stadt. Der Winter wurde in Form von Schneemännern, Eiskönigen und -königinnen und Wintersportler, die den ganzen langen Weg tatsächlich auf Skiern bewältigten, dargestellt. Mit unheimlich vielen Blumen und Blüten wurde der Lenz symbolisiert. Ein als Küken verkleidetes Kind schlüpfte aus einem Ei und die Sonne und ihre Gehilfen strahlten um die Wette. Schöner hätte man die umfangreiche Thematik wohl kaum darstellen können – den Besuchern ging das Herz auf und die Teilnehmer wurden mit lang anhaltendem Applaus bedacht.
Auf dem Marktplatz, auf welchem das Streitgespräch zwischen Frau Sunna und Herrn Winter sowie die symbolische Verbrennung des Winters in Form einer Strohpuppe um 16 Uhr stattfand, wurde sogar professionell moderiert, was das Szenario nochmals unterstützte. Wer dieses Happening einmal aus der Vogelperspektive betrachten wollte, hatte dazu in diesem Jahr erstmalig die Gelegenheit. Jens Schmidt hatte seinen 40 Meter hohen „Kettenflieger“ mitten auf dem Markt aufgebaut, in welchem, so man den Mut aufbrachte und einstieg, großartige Eindrücke und herrliche Aussichten über das Gelände möglich waren. Als sei die Stimmung noch nicht gut genug, wurde noch ein Angriff auf die Lachmuskeln gestartet. Dies geschah in Form von Kirchners frisch erworbenen Laufgeschäft „Gaudimax“: Tierisch veralberte Darstellungen, kunstvoll in Szene gesetzte Bayern und liebevolle Mädels lockten bereits von der Front. Im Innern balancierte und stolperte man über etliche Spaßstationen bis zum Finale in der rollenden Tonne – maximaler Gaudi!
Während Mama und Papa bei sonnigem Wetter gekühlte Getränke genossen, stieg der Nachwuchs in Schmökels Bodenmühle ein und drehte eine Runde auf Motorrad, Pferd oder Auto. Süßwaren, Armbrustschießen, Automaten, ein Imbiss und ein extrem gut sortierter Ausschank wussten ihr Publikum zu unterhalten und zu umsorgen.
In westlicher Richtung liegt die Georgenstraße. Auch hier waren Türen, Fenster, ja ganze Häuserfronten anlässlich des großen Festes geschmückt. So gar nicht ins Gesamtbild wollte der Gig einer DJane in einem örtlichen Gastronomiebetrieb passen, die des Nachmittags kurz vor Eintreffen des Festzuges elektronische Underground-Musik, sprich Minimal und Deep House auflegte und die halbe Straße beschallte. Das Einzige, was die Dame erreichte, waren verwirrte Blicke.
Auf rund einem Kilometer erstreckten sich dann entlang der Katharinenstraße jede Menge Pavillons, Imbissbetriebe, Ausspielungen, Händler, vier Kinderkarussells sowie Magerstedts nostalgische Berg- und Talbahn „Happy Butterfly“ aus dem Jahre 1953, die eine voll besetzte Fahrt nach der Nächsten absolvierte. Überdurchschnittlich gut war das Speisenangebot! Sehr zu empfehlen waren der Original Schmöllner Mutzbraten, die Fischbrötchen bei „Neptuns Früchte“ sowie die unverwechselbaren Thüringer Bratwürstchen.
Über die Kasseler Straße gelangte man schließlich zur Adam-Opel-Straße, an welcher der Festplatz Spicke gelegen ist. Trotz der räumlichen Entfernung ergab sich ein stimmiges Gesamtbild – allein schon durch die so herrlich geschmückte Innenstadt. In diesem Jahr war die Ausdehnung durch den bereits erwähnten „Kettenflieger“ und das „Europa-Rad“ von Schieck-Plaenert besonders gut zu erkennen, da beide an der 40-Meter-Marke kratzen und somit weithin sichtbar waren. Ein ganz spezieller Reiz ergab sich bei den Fahrten der beiden Hochfahrgeschäfte, da man sowohl von der einen als auch von der anderen Attraktion das zweite Geschäft erspähen konnte.
Eine Faszination jagte hier die nächste. Schon als man den Festplatz betrat, blickte man auf ein Doppel, was es so wohl noch nie gegeben hatte. Direkt nebeneinander pendelten zwei Schaukelgeschäfte. Geht nicht? Oh doch, hier funktionierte es hervorragend! Während Volklandts „G-Force“ fast ausschließlich die Jugend bediente, stieg in Heinericis „Black Pearl“ hauptsächlich Familienpublikum ein. Wenn beide Geschäfte in Aktion waren, hatte man fast etwas Angst, dass sie sich treffen könnten, aber hier wurde genau gemessen und alles passte perfekt. Gegenüber des futuristischen KMG-Afterburners machte der „Entertainer“ von Müller-Volklandt seinem Namen wieder alle Ehre. Das Karussell wurde so variantenreich gefahren, wie es nur möglich ist, am Mikrofon wurde erstklassig animiert und untermalt wurden die rasanten Fahrten mit feinsten elektronischen Beats.
Im klassischen Rundlauf folgte dann sogar noch eine Premiere. Familie Jacobi präsentierte ihren frisch erworbenen „Free Fall“, aus welchem in regelmäßigen Abständen Schreie und Gekreische zu vernehmen waren. Der freie Fall aus knapp 20 Metern Höhe verursacht eben doch ordentliches Magenkribbeln.
Schuders Achterbahn „Nessi“ ist genau das Richtige für Neueinsteiger des Coaster-Vergnügens. In einer lang gezogenen Schleife dreht der Zug hier gleich mehrere Runden auf der Schiene.
Den nächsten Kopfplatz ergatterte Rupperts „Take Off“. Völlig losgelöst ging es hier in den 65-Grad-Winkel und dann wurde der Fuß von der Bremse genommen – Highspeed!
Mit Schwung über Berg und Tal und das Ganze auf schwingende Art und Weise bewegte man sich in Schaaks „Hawaii Swing“. Die nach der pazifischen Inselgruppe benannte Schlittenfahrt kam extrem gut beim Publikum an.
Vis a vis der Nauta Bussink Anlage und die sich selbst auf die Schippe nehmende Belustigung „Freddy’s Company“. Familie Hofmann-Jehn hat hier ein Laufgeschäft geschaffen, das voller Selbstironie und kreativer Effekte steckt.
Wer selbst ans Steuer greifen wollte, cruiste in Schmökels Autoscooter „Maxximum Speed“ über die Fahrbahn. Zwischen LEDs, Lichteffekten und Nebelschwaden machte die Fahrt gleich doppelt so viel Spaß.
Irrwege der feinen englischen Art hielt Hofmanns Glaslabyrinth „Down Town“ bereit. Die Front des Irrgartens ist mit etlichen Sehenswürdigkeiten Londons geschmückt worden –hier lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen.
Als Simulationsanlage war überdies noch Ruschs „Jumanji“ mit von der Partie. Die Kombination von Film und synchronen Bewegungen wusste den Insassen zu gefallen.
Drei Kinderkarussells und etwa zwei Dutzend überwiegend hochwertiger Randgeschäfte vervollständigten das sehr zu gefallene Gesamtbild des diesjährigen Sommergewinns.
Das erste Wochenende war eine „Granate“, wie es einige befragte Beschicker beschrieben. Auch die folgenden Tage und das zweite Wochenende liefen immer noch gut, wetterbedingt aber etwas schwächer als die ersten drei Tage.
Text und Fotos: Dennis König