Heute möchten wir einen Mann vorstellen, der unsere Branche mit klarem Kopf und vollem Herzen zu betrachten weiß. Man hat ihn über Jahrzehnte mit Riesenrädern verbunden, seit März 2020 nun mit dem Hamburger Unternehmen Max Eberhard Junior. Darüber hinaus ist er quasi ideeller Botschafter des Lullusfest in Bad Hersfeld. Ein Gespräch mit Richard Krolzig, einem Wandler zwischen den Welten.
Wie bist Du in die Arbeitswelt der Kirmes eingetreten?
„Wie heißt es so schön: Die Übergänge sind fließend. Wenn man in Bad Hersfeld groß wird, ist man automatisch mit dem Lollsfieber (Anm. Lolls ist die Kurzform für Lullusfest) infiziert. Aus Leidenschaft zur Veranstaltung und Faszination zur Branche ist ein Hobby und daraus eine Beschäftigung entstanden, die so gar nicht geplant war und die es so auch noch nie gegeben hat. Aber natürlich sind es die Begegnungen mit Menschen, die unser Leben prägen und in eine Richtung bringen. Das war bei mir im Jahre 1986 im Alter von 14 Jahren der Fall. Familie Schütze war mit ihrer Geisterbahn „Schloss Dracula“ zu Gast in Bad Hersfeld. Aus diesem Erstkontakt vor Ort entwickelte sich eine enge und besondere Freundschaft. Ohne Bärbel Schütze hätte ich vielleicht so nie Fuß gefasst in der Branche.“
Man bringt dich unweigerlich mit Bruchs Riesenrädern in Verbindung. Jetzt hast du ein ganz neues Aufgabenfeld betreten. Erzähl uns bitte ein wenig davon!
„Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich mich intensiv mit Riesenrädern beschäftigt und war somit für viele Jahre Gesicht und Ansprechpartner u. a. am renommierten „Bellevue“. Ich hatte die Möglichkeit, mich in diesem Bereich zu entfalten, was mir immer viel Freude bereitet hat. Manches ist von Dauer, aber nichts ist für immer. Auch wenn man mit so einem Produkt quasi verwachsen ist, wächst der Wunsch nach Veränderung. Ich denke, ich habe in dem alten Lebensabschnitt viel erleben dürfen und mich intensiv einbringen können. Mehr ging wohl nicht. Daraus resultierend fehlte mir die langfristige Perspektive. Die Vernetzung in der Branche hat neue Türen geöffnet. Seit März letzten Jahres mache ich nun quasi die „Umschulung“ vom Riesenrad zur Achterbahn.“
Was sind deine Aufgabenfelder bei Firma Max Eberhard jr.?
„Max Eberhard jr. hat sein Portfolio um die Achterbahn „Wilde Maus – das Original“ erweitert und deshalb nach Unterstützung und einem Repräsentanten für diese Attraktion gesucht. Er selbst ist ja als CEO der RCS worldwide GmbH stark im internationalen Stahlbau eingebunden. Meine Aufgaben umfassen Kommunikation, Vor- und Nachbereitung der Veranstaltungen, Organisation, Bewerbungen, Ticketing und Cash-Handling. In bekannter Gewohnheit bin ich Ansprechpartner vor Ort. Kurz gesagt: ich bin der Projektleiter für diesen mobilen Sektor und nehme aber auch Aufgaben für den Bereich Freizeitparks wahr. Zurzeit liegen wir natürlich wie alle anderen auch mit beiden Achterbahnen still. So bin ich aktuell ausschließlich in Hamburg im Büro.“
Du hast so viele Feste im In-und Ausland erlebt. Skizziere doch bitte eine aus Deiner Sicht wirklich gute Veranstaltung und was sie ausmacht.
„Atmosphäre und Emotion sind die entscheidenden Faktoren für eine gute Veranstaltung. Sie muss vom Publikum gelebt und geliebt werden. Nur dann wird sie unverwechselbar. Eine interessante Location rundet das ab. Nur eine Ansammlung von Attraktionen löst nichts aus. Volksfeste leben von Traditionen, die sich nicht so einfach umtopfen lassen und von der künstlichen Verknappung durch die zeitliche Begrenzung. Paradebeispiel ist für mich natürlich das Lullusfest in meiner Heimat Bad Hersfeld: als ältestes Volksfest Deutschlands mit all seinen unverwechselbaren Eigenheiten, ein unbeschreibliches Maß an Identifikation der Bevölkerung, einer Eröffnung an einem Montag, die ihrem Namen alle Ehre macht, und natürlich mit dem einmaligen Feuer, welches Dreh-und Angelpunkt ist. Dazu ein kompakter, aber hochwertiger und abwechslungsreicher Festplatz. Das ist die perfekte Mischung! Vor zwei Jahren hatte ich das Glück, endlich einmal die Feria de Abril in Sevilla besuchen zu können. Definitiv eine Ausnahmeveranstaltung mit einem ganz Besonderen Charakter. Wenn man da ist, spürt man sofort: das gibt es nur dort. Luxembourg, Basel und Soest haben auch das gewisse Extra. Es ist dieses ganz Besondere Gefühl, was eine Veranstaltung im besten Falle auslösen kann: Lebensfreude und Sehnsucht zugleich. Dabei gewesen zu sein ob es der Besucher ist oder der Schausteller bedeutet für beide Seiten, Teil von etwas zu werden.“
Welche Gefühle gehen in Dir vor, wenn Du an die aktuelle Situation denkst?
„Es ist die sprichwörtliche Achterbahn der Gefühle. Dankbarkeit, dass meine Familie und Freunde gesund sind und ich überhaupt noch arbeiten kann. Enttäuschung und Wut, dass es nach einem Jahr Ausnahmezustand immer noch so wenig Perspektiven für die Veranstaltungswirtschaft gibt. Sorge, wie lange wir das alles noch aushalten müssen und können. Dabei meine ich nicht nur die wirtschaftlichen Aspekte. Respekt für alle, die an Konzepten arbeiten und versuchen, in diesen aussichtslosen Zeiten etwas auf die Beine zu stellen. Ohne unser gewohntes Leben besteht man eigentlich nur aus einer Hülle. Manchmal komme ich mir vor wie in einem Transitbereich eines Flughafens –der eigentliche Flug wurde gecancelt, alle anderen Flieger nehmen einen nicht mit und man darf aber aufgrund von Zollformalitäten den internen Bereich nicht mehr verlassen. Wir sind in der Phase nach einer Explosion und der Staub hat sich noch nicht gelegt. Wir können nicht klarsehen und nur auf Sicht fahren. Das aber entspricht nicht unserem Naturell.“
Was macht für Dich einen guten Schaustellerbetrieb aus?
„Möglichkeiten erkennen, sich anpassen an die aktuelle Situation und auch im Falle eines Scheiterns weiterzumachen und nicht aufzugeben: Das ist nach meiner Meinung die DNA des Schaustellers. Ein guter Schaustellerbetrieb hat sich dieser Maxime verschrieben. Die Liebe zum Geschäft setzt Kräfte frei und motiviert das Umfeld. Solidarisch im Familienverbund, aber auch solidarisch über die eigenen Frontmeter hinaus, sollte gehandelt werden. Der Tradition gerne verpflichtet, aber dennoch neugierig auf Neues und Herausforderungen. Trotz des enormen Pensums, was immer wieder, Tag und Nacht, bei Wind und Wetter, geleistet wird, gibt es diese gewisse Leichtigkeit, das Leben und das Miteinander zu genießen.
Wenn von heute auf morgen alles wieder wie vor der Krise wäre, was würdest Du als Erstes tun?
„Mit meinen Patenkindern auf die Kirmes gehen.“
Nach einem so guten Gespräch brauchen wir noch ein Schlusswort von Dir. Vielleicht einen Appell?
„Von Friedrich Schiller stammt der Satz: ‚Verbunden werden auch die Schwachen mächtig.‘ Vernetzung ist das Gebot der Stunde. Wir müssen viel sichtbarer werden. Wir brauchen die Unterstützung durch unser Publikum, aber auch durch die öffentliche Hand. Städte und Gemeinden müssen Ihrer Verantwortung uns gegenüber bei der Durchführung von Veranstaltungen endlich mehr gerecht werden. Denn nach wie vor gilt: Krankenhäuser sollten auch nicht von den Patienten geleitet werden! Eine zweite abgesagte Volksfestsaison stellt einen in seiner Dramatik noch nicht abschätzbaren Verlust für die Schausteller, für die Städte und für unsere Gäste da.“